Das Zeitalter der Business-Ökosysteme Eine innovative Perspektive auf die Wertschöpfung?

Das Zeitalter der Business-Ökosysteme

Eine innovative Perspektive auf die Wertschöpfung?

Kathrin Großheim ist Referentin im RKW Kompetenzzentrum und unterstützt dort seit über zehn Jahren vor allem Innovations- und Strategieprozesse kleiner und mittlerer Unternehmen. Sie ist außerdem erfahrene Business Coachin (DBVC) und arbeitet mit Führungskräften an ihren professionellen und persönlichen Spielräumen.
Kontakt: k.grossheim(at)rkw.de

Patrick Großheim ist Referent im RKW Kompetenzzentrum. Dort arbeitet er seit vielen Jahren im Feld der Organisationsentwicklung mitsamt allen dazugehörenden strategischen und personalwirtschaftlichen Fragestellungen. Patrick ist Coach (DBVC) und hat Freude dabei, Menschen und ihre Geschäfte in ihrem Wachstum zu begleiten.
Kontakt: grossheim(at)rkw.de

Business-Ökosysteme sind modern. Manche Autorinnen und Autoren gehen sogar so weit zu sagen, dass ihnen die Zukunft gehört und sie dem Organisationszeitalter und den Branchenstrukturen, so wie wir sie kennen, leise Goodbye sagen. Verstanden werden Business-Ökosysteme dann als orchestrierte Netzwerke von Unternehmen und anderen relevanten Akteuren rund um einen (möglichst weit gefassten) Kundennutzen. Die Beteiligten konzentrieren sich auf ihre jeweiligen Kernkompetenzen und machen im Verbund ein wettbewerbsfähigeres Angebot als sie es allein könnten. Dahinter steht die Neuauflage einer bereits seit längerem diskutierten soziologischen These: Netzwerke verzichten auf eine ausdifferenzierte Hierarchie und sind in der Lage, Kooperationen schnell und situativ je nach Anforderung auf- und abzubauen. Mitgliedschaftsbezüge sind loser gekoppelt: man arbeitet jeweils mit denjenigen, die für einen Job und die damit verbundene Rolle besonders gut zu passen scheinen. Filmproduktionen funktionieren beispielsweise schon lange nach diesem Strickmuster. Von dort kennen wir auch bereits die prekären und wenig berechenbaren Verhältnisse, die im Schatten dieser Kooperationsform entstehen können.

Unternehmensnetzwerke + VUCA + Digitalisierung = Business-Ökosysteme?

Diese Netzwerke treffen nun auf eine VUCA-Welt und treten dort quasi als Beweglichkeitsexpertinnen auf. Hinzu kommt: Die digitalisierungsbedingten Möglichkeiten senken Transaktionskosten für Kooperationen auch überregional erheblich. Es macht – so die Argumentation – kaum einen Unterschied, ob beispielsweise die Versicherung, Internetagenturen und Automobilhersteller im Nebengebäude oder Indien sitzen, um gemeinsam eine Mobilitätsplattform aufziehen zu können. In der analogen Welt sind solche netzwerkförmigen Kooperationsformen beispielsweise in Form von Weihnachts- oder Wochenmärkten seit langem etabliert. Dass eins plus eins auch drei sein kann, also der kooperative Kundennutzen größer ist als die Summe seiner Einzelteile, kennen wir auch bereits von dort. Eins ist klar: „Alles aus einer Hand“, „Komplett-Angebote“, „Rund-um-Sorglos-Pakete“ sind attraktiv – egal, ob für Privat- oder Firmenkunden, ob auf realen oder digitalen Marktplätzen. Und zumindest letztere sind immer leichter umsetzbar.

Ein weiterer Grund für uns, solche Netzwerke und kooperativen Geschäftsmodelle genauer anzuschauen sind die Erfahrungen in der Corona-Pandemie: #gemeinsamstatteinsam ist einer der einschlägigen Hashtags dieser Zeit. Ob lokaler Einzelhandel oder produzierende Unternehmen, die untereinander oder mit ihren Lieferanten, Banken, Kundinnen und Kunden enger zusammenrückten – gerade kleine und mittlere Unternehmen, die auch schon vor der Pandemie ihre Außenbeziehungen sehr ernst genommen haben, kamen leichter durch diese turbulenten Zeiten (vgl. RKW-Blitzumfrage 2020 / RKW-Interviewreihe #lernenausderkrise).

Gemeinsam lässt sich mehr erreichen – alles eine Frage der Perspektive

Wenn man den Begriff des Ökosystems an der Stelle ernst nimmt, dann könnten Business Ökosysteme auch einfach erstmal das Beziehungsgeflecht von Akteuren und Ressourcen rund um einen mehr oder weniger weit gefassten Kundennutzen beschreiben. Er bestimmt „das Feld“, das wir betrachten und es wird umso größer, je weniger wir uns an dem konkreten Produkt, der konkreten Lösung orientieren (siehe Abbildung). Wer etwa einen Weihnachtsmarkt besucht, hat selten einfach nur Lust auf gebrannte Mandeln. Erst das Gesamterlebnis mitsamt den Gerüchen, Klängen und Stimmungen rechtfertigt die Bezeichnung Weihnachtsmarkt, der eben mehr ist als die Summe aus Mandeln, Glühwein und Kinderkarussell. Und die Vielfalt, aus der eine neue Qualität entsteht, spricht nicht nur mehr Menschen an, sie ist auch weniger festgelegt auf einzelne Produkte und Leistungen. So muss sich der Vegetarier nicht von Bratwurst und die Antialkoholikerin nicht vom Glühwein abschrecken lassen. Vielmehr zählt das Gesamtgefüge und alle, die den Begriff „Weihnachtsmarkt“ hören, wissen worum es geht. Ähnlich verhält es sich mit „Alexa“ oder „TikTok“ aus der digitalen Welt.

In diesem Raum gibt es zahlreiche Akteure, Beziehungen, Abhängigkeiten, Ressourcen, Bewegungen – wie auch in einem Ökosystem im biologischen Sinne. Seine Vernetzung und Komplexität zu betrachten und diese für das eigene Unternehmen und die Weiterentwicklung des Geschäftsmodells zu nutzen, macht in jedem Fall Sinn – egal, ob es nun in einem kooperativen Ansatz mündet oder nicht. Gerade auch für Nachhaltigkeitsstrategien im Sinne einer Kreislaufwirtschaft ist das Business Ökosystem eine spannende Perspektive (vgl. von der Ropp ab S. 7). Sie ist vor allem deshalb interessant, weil sie völlig neue Eindrücke ermöglicht: Wer sich am lösungsunabhängigen Kundennutzen orientiert, kann seine eigene Rolle im Wertschöpfungsgeflecht besser verstehen, seine Position im Wettbewerb besser greifen und gemeinsam mit anderen Angebote entwickeln, die robuster sind (der Weihnachtsmarkt schließt nicht, weil ein Wurstbudenbetreiber absagt), und anschlussfähiger an die vielfältigen Bedürfnislagen potenzieller Kundinnen und Kunden.

Solche Außenbeziehungen zu gestalten ist gar nicht so einfach: der Grat zwischen Kooperation und Wettbewerb ist oft schmal, die Sorge um Abhängigkeiten und Datensicherheit groß, es braucht viel Vertrauen und im Zweifel guten Rechtsbeistand. Alles ist in Bewegung, Akteure und Geschäftsmodelle kommen und gehen.

Bei der Frage, wie man solche Business Ökosysteme bestmöglich gestalten kann, hat die Permakultur unser Interesse geweckt. Hier wurde bereits viel Erfahrung damit gesammelt, natürliche Ökosysteme in der land- und forstwirtschaftlichen Realökonomie nachzuahmen. In einer längeren Online-Fassung dieses Artikels suchen wir deshalb in den permakulturellen Handlungsprinzipien nach Hinweisen für das Management von Unternehmen und kundenorientierten Unternehmensnetzwerken. Hier können Sie dazu gern weiterlesen. Aber so viel sei schonmal verraten: Sie lesen sich bereits wie eine moderne Anleitung für die Gestaltung von Unternehmens- und Netzwerksprozessen. Aus unserer Sicht kein Zufall!